Als Auszubildender ins Ausland. Trau dich!

„Ins Ausland gehen doch nur Gymnasiasten und Studenten. Und überhaupt, was will ich denn da?“ Der erste Teil dieser Aussage, mit der Lehrer an Haupt- und Realschulen sowie Berufsberater und Berufsschullehrer von Zeit zu Zeit konfrontiert werden, ist spätestens seit dem 2005 verabschiedeten neuen Berufsausbildungsgesetz nur noch bedingt wahr. Für jeden Lehrling gibt es prinzipiell die Möglichkeit, bis zu einem Viertel seiner Ausbildungszeit im Ausland zu verbringen. Ein rechtlicher Anspruch darauf besteht allerdings nicht und in der Praxis gibt es kaum Angebote für einen so langen Zeitraum. Ermöglicht wird ein Auslandsaufenthalt in erster Linie von überbetrieblichen Ausbildungszentren, Berufsschulen, Industrie- und Handelskammern sowie Handwerkskammern und global agierenden Konzernen wie Daimler Chrysler, der Deutschen Bahn AG oder dem pharmazeutisch-chemischen Unternehmen Merck KGaA.

Um das Argument „was will ich denn da“ zu entkräften, versuchen insbe sondere Berufsschullehrer seit einiger Zeit den Lehrlingen vielfältige Angebote zu unterbreiten. Das Bildungszentrum des Baugewerbes (BZB) beispielsweise bietet seit 1995 einen Austausch mit dem Centre de Formation d‘Apprentis in Orléans an. Einmal jährlich reisen zwölf Azubis nach Frankreich und werden im Gegenzug von einer Gruppe ihrer jungen Kollegen in Deutschland besucht. Das BZB ist eine Bildungseinrichtung, die im Regierungsbezirk Düsseldorf 2.500 Unternehmen und 15 verschiedene Bauberufe repräsentiert. Dennoch ist es nicht leicht, Lehrlinge zu finden, die für einen dreiwöchigen Aufenthalt in Frankreich in Frage kommen. Bei einigen scheitert es an der schulischen Leistung, bei anderen an mangelndem Sozialverhalten, bei den meisten aber an der Angst vor ungewissem Terrain. So hatte der angehende Maurer Alex zunächst Bedenken: „Zuerst hatte ich ein komisches Gefühl bei der Sache. Aber von der Anmeldung bis zur Abfahrt ging es so schnell, dass mir der Gedanke nicht in den Sinn kam, nicht mitzukommen. Das war auch besser so. Denn als ich dort war, habe ich mich schnell eingelebt und bei der Arbeit wurde ich richtig integriert. Das war mir das Wichtigste.“ Finanzielle Unterstützung erhalten die Initiatoren des Austausches beim Deutsch-Französischen Sekretariat. Bis zu 70% der Kosten werden übernommen, inklusive einer sprach lichen und kulturellen Vorbereitung und eines Sprachbegleiters, der die Schüler vor Ort unterstützt.

Mit dem Programm Leonardo da Vinci – Mobilität bietet die Nationale Agentur Bildung für Europa beim Bundesministerium für Berufsbildung Unternehmen, Handwerkskammern, Industrie- und Handelskammern sowie weiteren Institutionen die Möglichkeit, für Auszubildende eine finanzielle Förderung zu beantragen. Auf der Liste der Antragssteller sucht man kleinere Unternehmen aber vergeblich. Zu groß ist die Hürde, sich durch den Papierdschungel zu schlagen. Zudem sind kleine Betriebe oft nicht bereit oder nicht in der Lage, mehrere Wochen auf ihre Azubis zu verzichten. Bei großen Konzernen sieht das anders aus. Die Edelmetall- und Technologieholding Heraeus mit Sitz in Hanau nutzt die Chance, ihre Auszubildenden mit Leonardo Da Vinci für acht Wochen an Heraeus-Gesellschaften im Ausland zu senden. Dort können sie ihre Sprachkenntnisse und ihre Sozialkompetenzen verbessern.

Das Deutsch-Französische Jugendwerk bietet ein Finanzierungsangebot an, welches unter anderem von der Handwerkskammer Lübeck genutzt wird. Die Selbstverwaltungseinrichtung des Handwerks im südlichen Teil von Schleswig-Holstein betreut 20.000 Mitgliedsbetriebe und deren Beschäftigte, einschließlich der Lehrlinge. Im jährlichen Wechsel verbringen bereits seit 1976 deutsche Auszubildende zwei Wochen in Frankreich bzw. französische Lehrlinge zwei Wochen in deutschen Betrieben. Die Erfahrung zeigt, dass die Schüler in der Regel nach ihrer Reise hoch motiviert in ihre Tätigkeitsfelder zurückkehren. Die Handwerkskammer Münster führt regelmäßig einen Lehrlingsaustausch mit einer berufsbildenden Schule in Ålesund, Norwegen durch. Zunächst kommen die norwegischen Lehrlinge für zwei Wochen in den Kammerbezirk Münster. Im Gegenzug fahren die deutschen Azubis für drei Wochen nach Ålesund. Finanziell bezuschusst werden der Sprachkurs, die Reise- sowie die Unterbringungs- und Lebenshaltungskosten. Der Kraftfahrzeugmechatroniker Matze war zunächst unsicher, ob er an dem Austausch mit Norwegen teilnehmen sollte: „Am Anfang habe ich mir Sorgen gemacht, dass sich die Wochen bestimmt hinziehen und dass ich schnell wieder heim möchte. Spätestens nach drei Abenden ging die Zeit zu schnell um und ich wäre am liebsten da geblieben.“

Auszubildende im Bereich Privatwirtschaft, Gastronomie und Handel sind in der Regel offener für Praktika im Ausland. Bereits vor Ausbildungsbeginn sind sich die meisten darüber bewusst, dass gute Sprachkenntnisse und kulturelles Verständnis Grundvoraussetzungen für einen erfolgreichen Berufsweg sind. Die Deutsch-Portugiesische Industrie- und Handelskammer Centro DUAL Portimão beispielsweise bietet eine Ausbildung in Portugal an. Ziel ist der Abschluss zum Hotelfachmann bzw. zur Hotelfachfrau oder zum Koch bzw. zur Köchin in portugiesischen 4 bis 5 Sterne Hotels und Restaurants. Eine Bewerbung ist ohne Abitur möglich. Mit einem guten Realschulabschluss bekommt man ebenfalls die Chance, an der Algarve oder auf Madeira den Grundstein für seine spätere Karriere im Hotel- oder Gastronomiegewerbe zu legen.

Für Auszubildende aus administrativen oder sozialen Bereichen, aber auch aus Industrie und Handwerk, bietet das Japanisch-Deutsche Zentrum Berlin (jdzb) einen finanziell teilgeförderten zweiwöchigen Aufenthalt in Japan an. Dort erhalten die Azubis die Möglichkeit, Firmen, Kultureinrichtungen und Behörden zu besuchen. Gefördert wird das Austauschprogramm im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend aus dem Kinderund Jugendplan des Bundes sowie aus Mitteln des japanischen Ministeriums für Bildung, Kultur, Sport, Wissenschaft und Technologie. Das Programm des jdzb gehört zu den wenigen Ausnahmen, für das sich der Auszubildende selbstständig und unabhängig von jeglichen Institutionen bewerben kann.

Weitere Fördermöglichkeiten für Auszubildende aller Bereiche bietet InWEnt – Internationale Weiterbildung und Entwicklung gGmbH. Das weltweit tätige Unternehmen arbeitet im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Mit den Programmen BAND, TRAINING BRIDGE und GJØR DET macht InWEnt den Austausch mit den Niederlanden, Großbritannien und Norwegen möglich. Lediglich außerschulische Einrichtungen wie Betriebe oder Kammern sind antragsberechtigt und nicht etwa von Fernweh getriebene Azubis selbst.

Auszubildende die sich ohne Hilfe ihrer Berufsschullehrer oder ihrer Chefs auf Reisen begeben wollen, können sich bei let’s go! bewerben. Das erst Ende 2007 gestartete Programm für Einzelausreisen der Landes-Gewerbeförderungsstelle des nordrhein-westfälischen Handwerks erfreut sich schon jetzt reger Nachfrage. In absehbarer Zeit werden die rund 100 von let’s go! über das Förderprogramm von Leonardo Da Vinci – Mobilität für 2008/ 2009 beantragten Plätze ausgeschöpft sein. let’s go! bietet Auszubildenden aus dem Handwerk die Möglichkeit, einzeln und ohne Anbindung an eine Gruppenmaßnahme ein Praktikum im Ausland zu absolvieren. Zielländer sind Finnland, Frankreich, Italien, die Niederlande, Norwegen, Polen, Portugal, Spanien, die Türkei und bei entsprechender Eigeninitiative weitere EU-Länder, Island oder Liechtenstein. Mitglied des programmeigenen Internetforums www.letsgo-azubi.de ist, neben rund 80 anderen, der Dachdecker Martin. Er verbrachte drei Wochen auf der norwegischen Insel Valderøy vor Ålesund und zieht folgendes Fazit: „Alles in allem möchte ich sagen, dass es mir außerordentlich gut gefallen hat und ich ernsthaft in Erwägung ziehe, nach meiner Lehre für eine gewisse Zeit rüber zu gehen und in Norwegen zu arbeiten!“

Ins Ausland gehen eben nicht nur Gymnasiasten und Studenten. Die Welt steht auch Auszubildenden offen, die den Mut aufbringen, für einige Wochen oder Monate in einem fremden Land, mit einer fremden Sprache und einer fremden Kultur zu verbringen. Zu erleben sind dort Familien, die die Azubis mit offenen Armen empfangen, Wohnheime, in denen sie gemeinsam mit ihren Freunden eine gute Zeit verbringen können und ausgewählte Betriebe, die starkes Interesse an dem Land haben, in das die Auszubildenden mit vielen neuen Erfahrungen zurückkehren werden.

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